Zurück auf der Straße

… und das gleich mit Alles! Auf den über 1700 km von Istanbul bis Georgien waren schon einige Überraschungen dabei. Gute und schlechte Straßen, Schotter, Regen und zwei Polizeikontrollen inklusive. Hauptsächlich bewegten wir uns entlang der Schwarzmeer Küste. Ein paar interessante Abstecher ins Hinterland durften nicht fehlen.

Von Istanbul raus waren wir schnell, denn der Morgenverkehr bewegte sich in die andere Richtung. Wir fuhren an die Küste. Die gut ausgebaute Strecke gehörte uns fast alleine, von Schwerverkehr war nicht viel zu sehen. Es war generell wenig los auf den Straßen. Die schmale Küstenstraße bis Karasu war dann ganz nach dem Geschmack vom Bock-Chef, schlecht geteert, höppelig und kurvig. Immer wieder gab es schöne Ausblicke auf das Meer. In Ferizli legten wir eine Tee-Pause ein. In der Türkei wird man zum Tee-Trinker. Neben einem Elektrogeschäft sassen ein paar ältere Herren mit ihren Teegläschen. Wir gesellten uns dazu und wurden bestaunt und ausgefragt, woher wir kommen und wohin die Reise geht. Ein Herr der Runde arbeitete lange in der Schweiz und konnte gut Deutsch. Der Elektriker war besonders interessiert und nutzte den Dolmetscherdienst gebührend aus. Er liess sich nicht abhalten und bestellte Dürüms bei einem ihm bekannten Lieferdienst. Wir mussten einfach hungrig sein. Keine Ahnung woher das Essen gebracht wurde. Auf alle Fälle warten wir eine Weile und tranken Tee. Seine Gastfreundschaft war so großzügig, dass er die ganze Rechnung über unsere Konsumation übernahm. Natürlich nahmen wir die Einladung höflich und dankend an. Wir hatten schon einige so freundliche Begegnungen in der Türkei. Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Gastfreundschaft wird hier wirklich groß geschrieben.

Seit Istanbul gab es eine grundlegende Änderung für unsere Reiseplanung. Es wurden keine Hotel mehr vorreserviert. Für mich ist das ganz ungewohnt. Mal sehen, ob ich mich daran gewöhne. Die Etappen werden nur ungefähr angepeilt und Hoteloptionen vorgemerkt. Am Abend fahren wir dann die möglichen Quartiere an und schauen, ob was frei ist. Eregli war gleich die erste ungeplante Nacht. Hoteloption eins, wurde sofort gestrichen, das Haus lag mitten in einem Industriegelände. Google-Maps spuckte dann im Zentrum das Park Hotel aus. Ein passables Zimmer gab es. Die erste Nacht hat schon Mal gut geklappt.

Am nächsten Tag hingen die dunklen Regenwolken landeinwärts noch tief. Entlang der Küste schien es freundlicher zu sein. Also dann weiter entlang der Küste. In einem Waldstück überraschten wir die Holzarbeiter, denn mit uns hatte auf der Straße niemand gerechnet. Wir hatten aber auch nicht damit gerechnet, dass wir kurz darauf auf einer Schotterpiste landen würden. Es ging talwärts und gleich auf der anderen Seite wieder steil rauf. Steile Hänge mit Serpentinen zu befahren ist scheinbar hier nicht üblich. Es wird lieber gleich die Direttissima genommen – grade runter und ziemlich grade mit Schwung auf der anderen Seite wieder nach oben. Wir passierten ein ganze Reihe kleine Dörfer. Die Haselnuss ist hier der Haupterwerb. 70% der Weltproduktion an Haselnüssen kommen aus der Türkei. Wir waren schon den zweiten Tag mitten im Eichhörnchenparadies. Bei Zonguldak schwenkten wir dann doch auf die Hauptstraße. Wir waren zwar schon eine Weile unterwegs, aber weit waren wir noch nicht gekommen und irgendwie sollten wir auch ein paar Kilometer machen. In Cider klappte unsere „Hotelexperiment Zimmer ja/Zimmer nein“ auf Anhieb.

Und weiter ging es entlang der Küste in Richtung Georgien. Die Straßenhunde trieben sich mit ihren Welpen auf der Fahrbahn herum. Ist nur die Frage, ob alle das überleben. Sinop, ein kleines Städtchen (57.000 Einwohne!) auf einer Halbinsel mit einer Burg und einem historischen Stadtkern war das nächste Ziel. Unser Hotelpoker hat beim zweiten Haus am Platz geklappt. Der Bock-Chef spendierte eine Suite mit Blick über den Hafen. Sehr cool und am Morgen stand gefühlt ein Kreuzfahrtschiff direkt vor unserem Balkon im 5. Stock. Leider hingen die Regenwolken schwarz vom Himmel. Aber was soll´s, rein in die gelben Jacken und durch. Es kann ja nur besser werden. Nach ein paar Kilometern war es dann auch schon wieder trocken.

Ein Tee-Päuschen gönnten wir uns diesmal in Samsun, auf der Landkarte ein kleinerer Ort, in Wirklichkeit leben dort eine Million Menschen. So kann man sich täuschen. In dem Tee-Lokal wurde gerade eine neue Vordach-Konstruktion montiert. Um von dem Ding als Gast nicht erschlagen zu werden, packte mein Bock-Chef gleich selber an und half das Gestell in die Verankerung zu heben. Dafür gab es zwei gratis Tees und einen kleinen Hund hätte uns die Besitzerin auch noch gerne mitgegeben. Sind ja so herzig die Kleinen! Mangels Alternativen blieben wir an dem Tag auf der Schnellstraße. Somit kamen wir etliche Kilometer weiter nach Tirebolu, wo wir in einem recht passablen Hotel direkt an der Schnellstraße Quartier bezogen. Langsam schwindet meine Skepsis bezüglich der kurzfristigen Zimmersuche.

Tirebolu war kein Zufallstreffer, sondern ein guter Ausgangspunkt für die Besichtigung des auf 1071 Höhenmeter in den Felsen gebaute Sümela-Kloster. Der Gründungslegende nach wurde eine Ikone, die der Evangelist Lukas selbst gemalt haben soll, nach seinem Tod von Engeln hier her gebracht. Angeblich um 385 kamen zwei Eremiten, ebenfalls von Engeln geleitet, zu dem Ort der Ikone. Seitdem gab es Höhlen und Behausungen in dem schwarzen Felsen. Der älteste erhalten Bauteil stammt aus dem 14. Jahrhundert. Sowohl für orthodoxe Christen als auch für Moslems ist Sümela ein wichtiger Wallfahrtsort. Das Kloster liegt in einem Nationalparkt, nur leider war die Durchfahrt gesperrte, so dass wir eine andere Strecke doch zurück an die Schwarzmeer Küsten fahren mussten. Dafür gab es wieder ein super schickes Butik Hotel direkt am Meer zu einem passablen Preis. Es klappt tatsächlich!

Einen Abstecher ins Hinterland, wenn wir schon da sind, hatten wir noch eingeplant. Das Land ist so vielfältig und wir waren neugierig. Über den Ovit Pass ging es nach Yusufeli. Landschaftlich war es immer wieder Atem beraubend.

Je näher wir zu Yusufeli kamen, umso skeptischer wurden wir. Baumaschinen, riesige Baustellen die sich über viele Kilometer erstreckten, gigantische Brückenpfeiler und viele dem Verfall geweihte Häuser. Was war da los? Ein umstrittenes Mega-Staudamm-Projekt macht in den Schluchten des Flusses Coruh den Menschen, der Natur und den Tieren den Garaus. Das in der Region heimische Persische Eichhörnchen muss seine Nüsse wohl wo anders suchen. Hier noch ein paar Eckdaten: Bauzeit 2012 bis 2021, Bogenmauer mit 2.950.000 m³ Betonvolumen, Höhe der Talsperre 275 m, Fläche des Stausees 33,63 km², Energieproduktion 540 MW, 1.827 GWh/Jahr. Die Yusufeli-Talsperre ist die dritthöchste Bogenstaumauer weltweit. Bautechnisch eine tolle Leistung. Naturtechnisch eine Katastrophe!

Eigentlich wollten wir, nichts ahnend wie es hier aussieht, in dem Ort Yusufeli nächtigen. Die Zimmersuche war schwierig, denn der Ort war ziemlich herunter gekommen. Die Leute, die noch da sind, warten scheinbar noch immer auf Entschädigungen oder die Absiedlung. Der Bagger fährt durch die Stadt, an Investition in ein Hotel denkt hier niemand mehr. Google-Maps hatte zwar noch Hotels im Angebot. Davon sind aber schon einige geschlossen. Wir haben uns persönlich überzeugt. Zwei Quartiere hab ich besichtigt: Türe auf, Türe schnell wieder zu, damit nicht noch mehr muffelige Luft und Schimmel raus kommt. Keine Ahnung, wann die Bettwäsche das letzte Mal gewaschen bzw. getauscht wurde. Die Handtücher waren zerfranst.

In der Zwischenzeit war es spät und dämmrig geworden. Wir ergriffen die Flucht von dem gruseligen Ort, um nach Artvin die nächste größere Stadt zu fahren. Die 50 km sollten wir in einer Stunde schaffen. Nicht weit hinter den in den Himmel ragenden unfertigen Brückenpfeilern von Yusufeli mündete die neue Schnellstrasse nach Artvin ein. Meister Garmin hatte zwar Probleme sie zu orten, daher hielten wir uns an die Beschilderung. Kann ja sein, dass Garmins Straßen bereits geflutet waren, wer weiß. Wir bewegten uns entlang des 70 km langen Stausees der Deriner-Talsperre, ein weiteres Mega-Staudamm-Projekt am Fluss Coruh. Wir schlüpften von einem Tunnel in den nächsten. Das Straßenprojekt in der Schlucht muss Milliarden verschlungen haben. Normalerweise fährt der Bock-Chef ja nicht gerne in Tunnels, aber diesmal waren sie ein Segen. Es war zwischenzeitlich stockdunkel geworden und ein gewaltiges Gewitter braute sich zusammen. Die Fahrbahn zwischen den Tunnelröhren war glitschig und nass. Die insgesamt 40-Tunnel-Kilometer waren beleuchtet und trocken, so kamen wir gut und rasch voran. Bei jedem längeren Tunnel zeigten wir uns das „Daumen hoch-Zeichen“. Die erste Hotel-Empfehlung von Google-Maps in Artvin war sofort erfolgreich.



Von Artwin waren es nur noch knappe 100 km nach Batumi in Georgien, die wir rasch runter radelten, bevor der Regen wieder nieder prasselte.

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Ein Gedanke zu „Zurück auf der Straße

  1. Uherkovichné dr. Paál Mária

    Hi. You’ve been to really exciting places. It’s a pleasure to read the posts. So when you get to Armenia, you might find the name Smolyan and our ancestors instead. Your mother and I talked a lot about it at the time. Smolyan in Bulgaria may be an intermediate stop and settlement on the Armenia-Transylvania-Hungary route when they fled the Ottoman conquest

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